Kai Diekmann, Jahrgang 1964, wuchs in Bielefeld auf.Er besuchte die Marienschule der Ursulinen. Dort redigierte er die konservative Schülerzeitung „Passepartout“. 1981 und 1982 schrieb Kai Diekmann auch Artikel für die neu gegründete Ortsteilzeitung „Queller Blatt“.

Nach dem Abitur Wehrdienst von 1983 bis 1985, Entlassung als Obergefreiter der Reserve; ab 1985 beim Axel-Springer-Verlag als Volontär der Journalistenschule Axel Springer in Hamburg – mit Stationen in Bonn und New York City; 1987 Parlamentskorrespondent für „Bild“ und „Bild am Sonntag“ in Bonn; von 1989 bis Chefreporter bei der im Burda-Verlag erscheinenden Illustrierten „Bunte“.

Nach einem kurzen Engagement als stellvertretender Chefredakteur für die „B.Z.“ wechselte er 1992 als Politikchef zur „Bild“ nach Hamburg. Von 1998 bis 2000 war er Chefredakteur der „Welt am Sonntag“, von Januar 2001 bis Dezember 2015 Chefredakteur der Zeitung „Bild“. Diekmann war weiterhin Gesamtherausgeber der Bild-Gruppe.

Zum 31. Januar 2017 verließ er den Springer-Verlag. (Quelle: Wikipedia und Internet-Recherche)

QB: Herr Diekmann, Sie haben im Alter von 17 Jahren, neben der Mitarbeit bei der Schülerzeitung „Passepartout“ der Marienschule in Bielefeld auch für das Queller Blatt geschrieben. Welche Motivation hat Sie damals angetrieben?

Diekmann: Ganz klar an erster Stelle der Wunsch schreiben zu können. Ich hatte schon sehr früh viel Spaß daran, Geschichten über das zu schreiben, was in meinem Umfeld geschieht.

QB: Erinnern Sie sich noch an Beiträge die Sie in dieser Zeit verfasst haben?

Diekmann: Oh ja, sehr genau. Für das Queller Blatt habe ich seinerzeit recherchiert, wie es mit dem „Zweischlingen“, damals mehr Jugendtreff als Kulturgaststätte, weitergehen würde. Es wurde die Schließung befürchtet, und ich habe dazu den damaligen Betreiber interviewt. Was die Schülerzeitung „Passepartout“ angeht, ist mir natürlich vor allem das Interview mit Helmut Kohl in Erinnerung geblieben, das ich 1982, kurz bevor er Kanzler wurde, machen durfte. „Geschichte in Geschichten zu erzählen.“ Diese Aussage von ihm hat mich mein ganzes Leben begleitet.

QB: Würden Sie heute sagen, diese frühen Engagements haben dazu beigetragen, sich für eine journalistische Karriere zu entscheiden oder haben erst spätere Erfahrungen und Antriebe dazu beigetragen?

Diekmann: Gerade die Erfahrungen aus dieser frühen Zeit waren es, die mich letztendlich in den professionellen Journalismus geführt haben. Dazu kam in Bielefeld allerdings noch, dass mir nach den ehrenamtlichen Tätigkeiten beim „Queller Blatt“ und dem „Passepartout“ eine freie Mitarbeit beim „Westfalen-Blatt“ angeboten wurde, die ich damals natürlich sehr gerne angenommen habe. Damit erfüllte sich nicht nur der Wunsch, schreiben zu können, es wurde auch noch bezahlt. Als Fotograf und Texter war das meine allererste Begegnung mit professionellen Journalismus. Diese Einblicke waren entscheidend für meine berufliche Zukunft. Bei der Bundeswehr durfte ich diese Erfahrungen vertiefen: Beim 1. Korps in Münster wurde ich in der Pressestelle eingesetzt, durfte für „Bundeswehr aktuell“ und die Truppenzeitschriften „Luftwaffe“, „Heer“ und „Marine“ arbeiten, habe als Fotograf und Texter viele Beiträge veröffentlicht, natürlich auch im Rahmen der externen Pressearbeit. Durch diese Veröffentlichungen ist der Axel-Springer-Verlag auf mich aufmerksam geworden und hat mir erst ein Praktikum, später dann ein Volontariat angeboten. So ist dann aus dem Wunsch meiner Eltern, ich möge doch Jura studieren und in die Fußstapfen meines Vaters treten, nichts geworden.

QB: Zeitschriften, wie die „Bunte“, für die Sie tätig waren, genauso wie Magazine, Ortsteilblätter und Schülerzeitungen erzählen und kommentieren ja zumeist rückwirkend die Geschichte von Ereignissen. Als Redakteur von „BILD“, einer brandaktuellen Tageszeitung, haben Sie täglich an der Jagd nach dem Aktuellsten und Sensationellsten teilgenommen. Dann übernahmen Sie dort die Position des Chefredakteurs mit der Gesamtverantwortung für das redaktionelle und wirtschaftliche Ergebnis. Wie hat dieser Positionswechsel Ihre redaktionelle Arbeit und Ihre Sicht auf die Medienlandschaft verändert?

Diekmann: Zunächst ist es ja so, dass auch Zeitschriften, Wochen-Zeitungen und Magazine nicht nur rückwärtsgewandt berichten. Den Blick nicht nur nach nach hinten, sondern auch nach vorn zu richten - das müssen alle Medien tun. Wenn zum Beispiel jemand wie Putin einen Staatsbesuch in Deutschland ankündigt, so wird ja nicht erst hinterher über diesen Besuch berichtet. Wichtig ist sich im Voraus Gedanken zu machen, was die Menschen an dieser Person interessiert, zu recherchieren, vor Beginn des Besuches darüber zu berichten. Menschen interessieren sich für Menschen – diese Tatsache darf man nie vergessen, wenn man journalistisch tätig ist.

Natürlich hat sich für mich nach der Übernahme der Position des Chefredakteurs von „BILD“ viel geändert. Man muss eben das große Ganze verantworten. Das ist so, als wenn man als Chefkoch ein Sieben-Gänge-Menü in einem Drei-Sterne-Restaurant zu organisieren hat. Da schwingt man nicht jede Bratpfanne und jeden Suppentopf selber, trägt aber die Verantwortung für das Gelingen des Gesamtarrangements. Neben dem Blick auf das Ganze einschließlich der wirtschaftlichen Belange gilt es, die Mannschaft jeden Tag zu motivieren, Mut zu machen auch mal nach den Sternen zu greifen. Immer aber habe ich Wert daraufgelegt, über die Verantwortung als Chef nicht die Bindung zur journalistischen Arbeit zu verlieren. Viele Interviews mit Putin, Gorbatschow, Kohl oder auch ganz zuletzt Donald Trump habe ich selber geführt. Ich bin viel unterwegs gewesen, war zweimal in Afghanistan, um in Kabul den Präsidenten und zwei Jahre später General Petraeus zu sprechen, ich war im Irak und in Syrien, dazu viele Male in Amerika. Immer wieder selbst Geschichten zu machen, war mir wichtig.

QB: Es gab und gibt Zeitgenossen die sich zwar täglich in BILD über die News informieren, darauf angesprochen aber abstreiten, je „BILD“ je gelesen zu haben. Sie ergehen sich gewöhnlich in Ausreden wie: „Ich habe davon gehört, dass …“ „Hat mir ein Arbeitskollege vorgelesen …“ „Das Blatt lag gerade auf dem Tisch rum …“ Wie sind Sie als Chefredakteur damit umgegangen?

Diekmann: Ach ja (lacht), jetzt kommt das Klischee aus der Vergangenheit. Das stammt aus den 60er und 70er Jahren. Als man noch sagte: Aus „BILD“ tropft das Blut. Aber „BILD“ hat sich verändert. Damals war es unvorstellbar, dass jemand vom „Spiegel“, der „FAZ“ oder der „Zeit“ zu „BILD“ wechselte und umgekehrt, heute nimmt das kaum jemand noch zur Kenntnis. „BILD“ ist in der Mitte der Gesellschaft. Bild ist schon lange nicht mehr nur „Sex & Crime“, BILD organisiert z. B. auch Kunstausstellungen und viele andere kulturelle Events. Das Bekenntnisdefizit von damals ist so nicht mehr da. Natürlich will „BILD“ provozieren und polarisieren, natürlich ist „BILD“ auch laut. „Bild“ ist eben eine sehr starke Marke. Sehen Sie, viele mögen Bayern München nicht, aber der Name ist in aller Munde.

QB: In einem Interview für das Magazin der IHK Berlin „Berliner Wirtschaft“ im Mai 2020 trafen Sie die Aussage: „Ich bin ein Fan von Lokaljournalismus“. Wie sehen Sie in diesem Zusammenhang Ortsteilblätter wie z. B. „Queller Blatt“?

Diekmann: Ich sehe selbstverständlich das „Queller Blatt“ dort. Noch lokaler als ein Ortsteilblatt kann ja gar nichts sein. Das regionale Umfeld ist den Menschen wichtig. Hier leben sie. Was hier passiert, möchten sie wissen und lesen. Der Mensch ist analog. Was vor meiner Haustür passiert, das geht mich etwas an, und das jeden Tag. Darum ist Lokaljournalismus so wichtig.

QB: Im genannten Interview sagen Sie weiter: „Für Journalisten ist das Erzählen von Geschichten das Kerngeschäft. Das funktioniert in der digitalen Welt noch besser.“ Werden nach Ihrer Meinung reine Printmedien vom Markt verschwinden oder mit welcher Strategie könnten sie überleben?

Diekmann: Wir Journalisten sind nicht in der Papierindustrie. Die Oberflächen ändern sich. Früher kannten wir nur Schwarz-weiß-TV, aber die Welt ist in Wahrheit bunt. Deshalb hat der technische Fortschritt Farbfernseher den TV-Journalismus einfach besser gemacht. Nach der Schallplatte kam die Kassette, dann die CD, und die ist auch fast Vergangenheit. Schallplatten und Schwarzweißfotos gibt es natürlich auch noch, aber eher in der Nische, vor allem der künstlerischen Nische. Aber der Trend zum Digitalen ist nicht aufzuhalten. Die digitale Welt macht vieles bequemer und einfacher. Ich bin als Jahrgang 1964 mit Papier aufgewachsen und somit noch ein Papiermensch. Für meinen Sohn ist das ganz anders, er ist in die digitale Welt hineingewachsen und gewöhnt, mit anderen Oberflächen zu leben, dazu braucht er kein Papier. Dem muss man Rechnung tragen, wenn man in Zukunft erfolgreich sein will. Wir erleben ja gerade, wie die gegenwärtige Pandemie sich zu einem Katalysator für die Digitalisierung entwickelt. Meine Mutter in Bielefeld macht inzwischen Onlinebanking, etwas, was ich von ihr nie erwartet hätte. Da muss man zwangsläufig fragen: Erreicht meine Oberfläche die Menschen noch? Die Kommunikation der Zukunft, die Medien der Zukunft werden digital sein.

QB: Wir erleben gegenwärtig eine Neuausrichtung des Begriffes Heimat. Welche positiven Auswirkungen könnten sich dadurch für z.B. das „Queller Blatt“ ergeben?

Diekmann:  In einer globalisierten Welt, die für viele immer unübersichtlicher und komplizierter erscheint, wird Heimat immer wichtiger. Heimat – das sind die Wurzeln, das hat mich geprägt, das ist Identität, hier kenne ich mich aus. Was bedeutet das für das „Queller Blatt“? Menschen mit Geschichten, die jeden ein- und niemanden ausschließen, aus ihrer unmittelbaren Lebensumgebung zu informieren, ist da natürlich eine Chance für ein Stadtteilmagazin.

QB:  Das „Queller Blatt“ geht 2021 in das 40. Jahr seines Bestehens, was raten Sie dem Herausgeber und den (ehrenamtlichen) Redakteuren, damit es auch das 50. Jubiläum erlebt?

Diekmann: Sie sollten sich selber treu bleiben in dem, was sie am besten können: Geschichten über Quelle zu erzählen. Dabei aber eine Frage nicht aus den Augen verlieren: Wie erreichen wir in zehn Jahren unsere Leser. Sind sie dann noch da, wo wir sie heute treffen, auf Papier – oder informieren sie sich ganz woanders? Das wird über die Zukunftsfähigkeit entscheiden.

QB: Wie erinnern Sie sich an den Ort am Teutoburger Wald, die Stadt, die nach Jahrzenten des Verschwindens im Dunkel der Geschichte(n) in die Realität zurückgefunden hat?

Diekmann: Bielefeld ist und bleibt meine Heimat. In Bielefeld bin ich aufgewachsen, habe eine herrliche, unbeschwerte Kindheit und Jugendzeit erlebt und bin hier leidenschaftlich gern zur Schule gegangen. Meine Eltern wohnen in Bielefeld. Mein ältester und bester Freund wohnt in Bielefeld. Bei jedem Besuch in meiner Heimatstadt sehe ich mit Freude, wie weltoffen Bielefeld sich entwickelt hat. Ich bin in vielen schönen Städte auf der ganzen Welt gewesen, aber hier in Bielefeld am Teutoburger Wald fühle ich mich heimisch und geborgen.

QB: Herr Diekmann, wir danken Ihnen herzlich für die Bereitschaft, unsere Fragen zu beantworten und wünschen Ihnen beruflich und persönlich Erfolg, Glück und Gesundheit.

Die Fragen stellte Horst Brück. Das Interview wurde telefonisch geführt.